Neue Deister-Zeitung, 11.03.2008:
Wo sich Heine, Schlegel und Humboldt trafen
Kulturkreis-Lesung
im Jagdschloss: Arndt berichtet über die literarischen Salons
der Rahel Varnhagen
Springe
(jr). Ich freue michüber jeden, der gekommen ist":
Trotz der eher geringen Resonanz begrüßte Kulturkreis-Chefin
Karin Müller-Rothe gut gelaunt die 60 Gäste, die zur Kulturkreis-Veranstaltung
in den Kaisersaal gekommen waren. Keiner der Anwesenden dürfte
seine Teilnahme an der literarischen Collage" von und
mit Annegret Arndt bereut haben. Anders als viele Abonnenten ihr
Nichterscheinen.
Aus Zuhörern werden Gesprächspartner: Varnhagen-Kennerin
Annegret Arndt (Mitte) unterhält sich nach der Lesung mit Gästen.
Foto: jr
Kein
musikalisches, aber dennoch ein kulturelles Thema stand auf dem
Programm: Der literarische Salon der Rahel Varnhagen. Klug
wie die Sonne und dabei herzensgut" sei sie gewesen, zitierte
Arndt einen Zeitgenossen. Doch Rahel habe es nicht genügt,
als schöne Seele und Muse gesehen zu werden. Die Beziehungen
der gebildeten, gesellschaftlich unangepassten Rahel Levin (später
Varnhagen) seien oft kompliziert oder unbefriedigend gewesen. Nach
zwei gelösten Verlobungen heiratete sie den 14 Jahre jüngeren
Carl August Varnhagen von Ense und konvertierte zum Christentum.
Rote
Kurzhaarfrisur, aufrechte Haltung und ein manchmal irritierendes
Schmunzeln: Auch Arndt dürfte nicht zu den harmlosen Frauenzimmern
gehören. Die gebürtige Hamburgerin verstand es anschaulich-unterhaltend,
die biografischen Daten ihrer Protagonistin und etliche Fakten über
das Leben im Berlin des beginnenden 19. Jahrhunderts zu einem harmonischen
Ganzen zu verbinden. Dass Varnhagen, älteste Tochter eines
jüdischen Juwelenhändlers und Geldverleihers, keine einfach
gestrickte Frau war, belegte Arndt mit kurzen Anekdoten. Und mit
Zitaten aus deren Korrespondenz - 10 000 Briefe soll sie geschrieben
haben. Mein Leben soll zu Briefen werden" war denn auch
das Credo der Vielschreiberin.
Keine
Ansammlung tumber Möchtegernpoeten oder gesellschaftlicher
Versager traf sich bei Varnhagen zum Tee, zuerst in der Jäger-
und später in der Französischen Straße. Ganz im
Gegenteil. Als Fluchtpunkt und exterritorialen Raum"
bezeichnete Arndt diese Salons. Sonst streng getrennt auftretende
Gruppen wie jüdische und christliche Bürger oder Mitglieder
des Adels kamen hier zum Austausch zusammen.
Mag
sein, dass Klatsch und Tratsch bei den geistreichen Gesprächen
und kritischen Auseinandersetzungen nicht auf der Strecke geblieben
sind, an denen sich neben Brentano, Grillparzer, von Arnim, Tieck
und Schlegel auch Alexander von Humboldt beteiligte. Überwiegend
soll es allerdings um Kultur und Kunst, um Ereignisse auf den Berliner
Theaterbühnen oder um Opernpremieren sowie um Philosophisches
gegangen sein, recherchierte Arndt. Und immer wieder um Goethe,
den Varnhagen persönlich kannte und schätzte."
Geschickt
moderiert wurden diese Unterhaltungen von der klugen Gastgeberin.
Manch unbekannter Literat fand hier sein erstes Publikum. Zu ihnen
gehörte auch Heinrich Heine, der sich allerdings später
mit einem bissigen Spottgedicht über ästhetische
Herren" und deren Damen von zartem Gemüt" bei
literarischen Teegesellschaften lustig machte.
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